Empfehlungen der Bundesarchitektenkammer und der Bundesingenieurkammer
Vorbemerkung:
Der EuGHEuGH Europäischer Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 4.7.2019 ausschließlich entschieden, dass eine verbindliche Festschreibung von Mindest- und Höchstsätzen durch den Gesetzgeber gegen EUEU Europäische Union-Recht verstößt, obwohl die verbindlichen Mindestsätze der HOAIHOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich geeignet sein können, die Qualität von Planungsleistungen in Deutschland zu sichern. Es fehle lediglich an einer kohärenten Regelung, da Planungsleistungen auch von Personen erbracht werden dürften, die ihre fachliche Qualifikation nicht nachgewiesen haben. Vor allen Dingen hat der EuGH in keiner Weise die in der HOAI enthaltenen Honorarsätze der Höhe nach beanstandet. Zusammengefasst folgt hieraus, dass bei der Vergabe von Planungsleistungen im Grundsatz an der bisherigen Praxis festgehalten werden kann und im Sinne einer dauerhaften Qualitätserhaltung auch festgehalten werden sollte, auch wenn Angebote nicht nur deshalb ausgeschlossen werden dürfen, weil sie unterhalb der bisherigen HOAI-Mindestsätze liegen.[1]
Denn der EuGH selbst hat betont, dass eine Herabsenkung der Planerhonorare zu einer sogenannten adversen Selektion führen kann. Dies bedeutet, dass nur noch die billigsten Anbieter im Markt verbleiben und im Anschluss an die hiermit verbundene Marktkonzentration die Honorare bei insgesamt schlechterer Qualität steigen. Ob die Vorgabe des Vergaberechts, nicht das billigste, sondern das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen, eingehalten werden kann, hängt daher nicht zuletzt davon ab, ob die öffentlichen Auftraggeber weiterhin in erster Linie auf die Qualität und das langfristig wirtschaftlichste Angebot achten und nicht auf das vermeintlich und nur kurzfristig günstigste Planerhonorar. Hierzu sind öffentliche Auftraggeber auch deshalb gehalten, weil Planungsleistungen nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der VgVVgV Vergabeverordnung im Leistungswettbewerb, also gerade nicht im Preiswettbewerb zu vergeben sind.[2] Hieran hat sich auch nach der EuGH-Entscheidung nichts geändert. Diese Vorgabe dürfte sich ohne weiteres auch auf Vergaben im sogenannten Unterschwellenbereich übertragen lassen.[3] Für die Frage, ob die Ausschreibung EU-weit oder national erfolgen kann, bietet es sich ebenfalls an, weiterhin auf die Honorarsätze der HOAI zurückzugreifen, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, das EU-Vergaberecht unzulässigerweise zu umgehen. Auftragswertberechnung und tatsächlicher Auftragswert sollten dann aber auch korrelieren.
Hieraus ergeben sich folgende allgemeine Empfehlungen für die Vergabe von Planungsleistungen:
Auftragswertberechnung: Legen Sie sowohl für die Auftragswertberechnung als auch für den damit korrespondierenden tatsächlichen Auftragswert weiterhin die Honorarberechnungsparameter als auch die Honorarsätze der HOAI zugrunde. Für die Einordnung eines Vorhabens in die Honorarzone ist eine Punktebewertung erforderlich, die eine Ermittlung des Schwierigkeitsgrades voraussetzt. Da die HOAI selbst hierfür keine abschließende Anleitung liefert, wird auf einschlägige Bewertungstabellen verwiesen.[4]
Festpreisvergabe: Nutzen Sie (auch bei Ausschreibungen im Unterschwellenbereich) die Möglichkeit zur Festpreisvergabe nach § 58 Abs. 2 Satz 3 VgV, um den Grundsatz des Leistungswettbewerbs bei der Vergabe von Planungsleistungen bestmöglich umzusetzen. In diesem Fall erfolgt die Wertung der Angebote nur noch mit Blick auf Qualitätskriterien.[5]
Vorrang des Leistungswettbewerbs: Sofern Sie die Festpreisvergabe nicht nutzen, achten Sie gleichwohl darauf, dass der Preis bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien weiterhin nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wegen des Grundsatzes des Leistungswettbewerbs darf er auch künftig kein wesentliches Kriterium sein.[6] Die in der Rechtspraxis weit verbreitete Empfehlung einer Einstufung des Preises mit 10 % bei der Vergabe von Planungsleistungen bleibt somit aktuell.[7]
Angemessene Honorierung: Legen Sie auch bei gegebenenfalls niedrigen Honorarangeboten insgesamt auf eine angemessene Honorierung wert, um auch mittel- und langfristig zu einer qualitativ hohen Planerlandschaft nicht nur in Metropolregionen, sondern auch im ländlichen Raum beizutragen. Stimmen Sie sich hierzu auch mit Ihren Rechnungshöfen und Prüfungsämtern ab. Diesen wird oftmals zu Unrecht unterstellt, ausschließlich auf das kurzfristig billigste Angebot zu setzen.[8] Eine angemessene Honorierung schreibt § 77 Abs. 2 VgV ausdrücklich für den Fall vor, dass der Auftraggeber außerhalb von Planungswettbewerben die Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen verlangt. Maßstab für die Angemessenheit ist auch nach dem Wegfall der verbindlichen Mindest- und Höchstsätze die HOAI. Hierbei sollte nicht ausschließlich auf den unteren Rahmen („Mindestsatz“) abgestellt, sondern in der Regel vom mittleren Wert ausgegangen werden.[9]
Ungewöhnlich niedrige Angebote: Gehen Sie daher mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten (§ 60 VgV) kritisch um[10] und setzen Sie die Aufgreifschwelle nicht zu niedrig an. Denken Sie daran, dass der Gesetzgeber einen guten Grund hatte, die auf wissenschaftlicher Basis ermittelten Honorartabellen der HOAI insgesamt als angemessene Preisspanne und die jeweils unteren Rahmen („Mindestsätze“) als Auskömmlichkeitsgrenze anzusehen. Angebote unterhalb der unteren Rahmen können daher nur in begründeten Ausnahmefällen ein Auskömmlichkeitstestat erhalten. In der Regel sollte auf solche Angebote der Zuschlag nicht erteilt werden. Vergleichen Sie die sich ergebenden Stundenhonorare zum Beispiel mit denen von Rechtsberatern, IT-Dienstleistern oder auch dem Handwerk. Verlangen Sie bei niedrigen Honorarangeboten von Planern im Zweifel eine gesonderte Bescheinigung der Berufshaftpflichtversicherung.
Planungswettbewerbe als Chance begreifen: Nutzen Sie so oft wie möglich den Planungswettbewerb als das in vielen Fällen besonders geeignete Instrument zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes. Das Planerhonorar knüpft üblicherweise an den Baukostenumfang an und der Wettbewerb ermöglicht die Auswahl des insgesamt wirtschaftlichsten Ergebnisses. Nach § 78 Abs. 1 VgV gewährleisten Planungswettbewerbe die Wahl der besten Lösung der Planungsaufgabe und sind gleichzeitig ein geeignetes Instrument zur Sicherstellung der Planungsqualität und Förderung der Baukultur. § 78 Abs. 2 Satz 4 VgV verpflichtet daher den öffentlichen Auftraggeber zu prüfen, ob ein Planungswettbewerb durchgeführt werden sollte. Ebenso verweist § 52 UVgOUVgO Unterschwellenvergabeordnung im Unterschwellenbereich auf die Möglichkeit des Planungswettbewerbs, der hier auch als Einladungswettbewerb organisiert werden könnte.
Der jedenfalls derzeit noch weit überwiegende Anteil der öffentlichen Vergaben betrifft die sogenannte Unterschwellenvergabe. Die hier bestehenden größeren Gestaltungsmöglichkeiten sollten genutzt werden, um zu für alle Beteiligten möglichst unbürokratischen und effizienten Verfahren zu gelangen.
In Fällen, in denen die Freiheiten im Unterschwellenbereich zu Unsicherheit über die Ausgestaltung eines angemessenen Vergabeverfahrens führen, können die nachfolgenden Leitlinien zugrunde gelegt werden:
Bekanntmachung: Die Art der Bekanntmachung ist vorbehaltlich länderspezifischer Sonderregelungen grundsätzlich frei wählbar und kann von einer Aufforderung an eine Reihe potenzieller Auftragnehmer – z.B. auf der Basis vorliegender Initiativbewerbungen – über eine Presseinformation, eine Zeitungsanzeige, die Veröffentlichung auf dem eigenen Internetportal bis hin zu einer Veröffentlichung auf einschlägigen Vergabeplattformen gehen. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, dass eine zu breite Streuung die Chancen regional ansässiger, junger und kleiner Büros schmälert. Die Formulierung eines regionalen Zulassungsbereichs ist allerdings auch bei Unterschwellenvergaben unzulässig.
Mindestanforderungen: Entscheidend für eine chancengleiche Ausgestaltung des Auswahlverfahrens ist, dass die geforderten Nachweise präzise die Mindestanforderungen beschreiben, die damit im Sinne von Ja-Nein-Kriterien abprüfbar sind, im ersten Schritt aber keiner weiteren Wertung oder Gewichtung unterzogen werden. Art und Umfang der geforderten Referenzen bzw. Anforderungen an die Bewerber sind aus der konkreten Aufgabe abzuleiten und müssen in Relation zum Auftragsgegenstand stehen. Der Nachweis von Präqualifizierungen sollte ausdrücklich zugelassen werden.
Referenzen: Es sollten nicht mehr als ein bis zwei Referenzprojekte gefordert werden. Das Investitionsvolumen der Referenzprojekte wird als akzeptabel angesehen, wenn es 50 % des zu vergebenden Auftrags erreicht. Eine zeitliche Eingrenzung nachzuweisender Referenzobjekte macht wenig Sinn, da im Zuge von Baumaßnahmen erworbene Erfahrungen lange Bestand haben.
Anforderungen an Büro und technische Ausstattung: Sofern auftragsrelevant, z.B. sofern terminlich begründet, ist es denkbar, eine Erklärung über die im Büro für die Bewältigung der Aufgabe zur Verfügung stehenden Mitarbeiter zu verlangen. Für Aufträge unterhalb des Schwellenwertes sind in der Regel ein bis zwei Mitarbeiter zusätzlich zum Büroinhaber als ausreichend anzusehen. Die Forderung nach einer höheren Mitarbeiterzahl stünde in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Ertrag des Auftrags. Da der – jederzeit aufrüstbaren – technischen Ausstattung eines Büros als Vergabekriterium keine wesentliche Rolle zukommt, sollte auf diesen Punkt verzichtet werden.
Losverfahren: Andere als die aufgeführten Unterlagen lassen inhaltlich keine weiteren Erkenntnisse über die Bewerber erwarten und führen nur zu unverhältnismäßigem Aufwand bei allen Beteiligten. Bei den aufgeführten Beispielen ergeben sich damit Kriterien, die eine Vielzahl von Büros erfüllen können und die daher kaum vergaberelevant sein werden. Interessenten wird aber auf diese Weise signalisiert, ob ihre Bewerbung überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann. Alle Bewerber, die die hier genannten Nachweise erbringen können, haben die grundsätzlich erforderliche fachliche Qualifikation und können in der Verhandlung im Hinblick auf die individuelle und auch differenzierter zu beurteilende Qualität der Referenzen beurteilt werden. Für die Verhandlung wird im Allgemeinen eine Zahl von maximal fünf Teilnehmern als sinnvoll anzusehen sein. Sofern die Zahl qualifizierter Bewerber deutlich überschritten wird, empfiehlt sich die Zwischenschaltung eines Losverfahrens. Wenn mit dieser Option gerechnet wird, kann es sinnvoll sein, ein oder zwei Teilnehmer vorab auszuwählen und in der Bekanntmachung zu benennen
Gewichtung der Zuschlagskriterien: Die Zuschlagskriterien stellen die für die Vergabe entscheidenden Kriterien dar und kommen damit in der abschließenden Verhandlung zum Tragen. Die hier genannte Gewichtung ist nicht mehr nachträglich korrigierbar, bedarf also sorgfältiger Überlegung. Von der Sache her ist es geboten, den Schwerpunkt auf leistungsbezogene Kriterien zu legen, da das Gebäude als langfristiges Ergebnis das Vergabeverfahren und damit Verfahrensfragen und formale Aspekte überdauert. Dies kann alternativ die Gewichtung eines Wettbewerbsergebnisses sein oder die Bewertung von Lösungsskizzen, die für die Verhandlung erarbeitet und vorgestellt werden, oder die Bewertung realisierter Referenzprojekte. Dabei kommen Kriterien wie ästhetische Qualität, Funktionalität sowie Wirtschaftlichkeit und Kosteneinhaltung in Frage. Wird keins dieser leistungsbezogenen Kriterien herangezogen, so bleibt als wesentliches Zuschlagskriterium die Projektorganisation, also die Bewertung des vorgesehenen Projektverantwortlichen, ggf. des weiteren vorgesehenen Personals, der Vertrautheit mit Baumaßnahmen der öffentlichen Hand, Angaben zur Objektüberwachung sowie der Umgang mit Leistungsstörungen und Nachträgen. Für das Planerhonorar als letztem Zuschlagskriterium gelten die oben genannten Empfehlungen.
Transparenz: In der Bekanntmachung sollten die Schritte des Verfahrens in der gebotenen Kürze aber auch soweit erschöpfend beschrieben werden, dass die Bewerber dem Sinn nach wissen, wie das Auswahlverfahren konzipiert ist. Die Beurteilung von Referenzen erfordert im Übrigen immer ein qualifiziert besetztes Gremium. Der Versand der Niederschrift mit der Begründung der getroffenen Auswahl und der tabellarischen Aufstellung der Honorarangebote ist ein wesentlicher Bestandteil des Verfahrens, dient der Transparenz und schützt auch den Auftraggeber vor ungerechtfertigten Mutmaßungen und Vorwürfen.
Aufwand reduzieren: Mit dem oben skizzierten Auswahlverfahren wird der Aufwand auf Seite der Teilnehmer wie der Vergabestelle auf einem vertretbaren Maß gehalten und gleichzeitig eine klare Festlegung getroffen, wie viele Bewerber sich einer differenzierten Überprüfung unterziehen müssen. Durch das integrierte Losverfahren wird gleichzeitig auch kleinen Büros und Berufsanfängern eine faire Chance gegeben, ihre Qualifikation unabhängig von quantitativen Aspekten (Anzahl der Mitarbeiter, Anzahl der technischen Ausstattung etc.) gegenüber etablierten und großen Büros zu beweisen.
Die Architekten- und Ingenieurkammern unterstützen und beraten private und öffentliche Auftraggeber kostenlos bei der Umsetzung.
Berlin, im März 2020
[1] BMIBMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat-Erlass vom 5.8.2019, 4.
[2] BMI-Erlass vom 5.8.2019, 5.
[3] Greb, VergabeR 2019, 623 ff (626).
[4] Z.B. Locher/Koeble/Frick: Kommentar zur HOAI, oder Rainer Eich: Ausfüllhilfen für Honorarzone. Honorarsatz. Umbauzuschlag.
[5] Im Erlass des Sächsischen Finanzministeriums an den Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement vom 13.2.2020 wird auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen und ausgeführt, dass auf einen Festpreis/Leistungswettbewerb abgestellt werden soll, soweit kein echter Preiswettbewerb eröffnet wird (Regelfall oberhalb der Schwellenwerte).
[6] Portz, HOAI-Mindestsätze sind EU-rechtswidrig (VergabeNavigator 5/2019, 5 ff): Das Gebot des Leistungswettbewerbs bei der Vergabe von komplexeren und nicht vorab eindeutig beschreibbaren Leistungen spricht dafür, dass Leistungs- und Qualitätsvorgaben bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien durch öffentliche Auftraggeber den Hauptanteil bilden müssen.
[7] Greb, VergabeR 2019, 623 ff (626).
[8] GPA-Mitteilung Bau 1/2019“ der Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg vom 29.07.2019 an alle Kommunen in Baden-Württemberg. Auf deren Seite 10 wird darauf hingewiesen, dass die Kommunen darauf achten sollten, „angemessene Honorare“ zu vereinbaren und bei Architekten- und Ingenieurleistungen die Qualität der Leistung im Vordergrund stehen sollte und nicht das Honorar. Der Thüringische Rechnungshof kritisiert auf Seite 7 seines Berichts zur Vergabe von Bauleistungen (Haushaltsjahre 2010 bis 2014), dass in den geprüften Vergabeverfahren allein der Preis über den Zuschlag entschieden habe.
[9] Schramm, Zukünftige Honorierung von Planungsleistungen – Argumente für den Mittelsatz als Regelsatz, Januar 2020.
[10] Der Thüringische Rechnungshof beanstandet in seinem Bericht (Seite 7): Die Kommunen prüften weder rechnerisch noch technisch, ob die Bieter ihre Angebote zutreffend kalkuliert hatten, die Ausführung zu den angegebenen Preisen möglich war und keine Mischkalkulationen oder wettbewerbsverzerrendes Verhalten vorlagen.